Zum Löscheinsatz rufen, Feuer schüren: Die absurde Logik der konservativen Brandmauer im Europäischen Parlament
Gastbeitrag von Fabian Puckschamel. Alumnus des College of Europe, Vorstandsmitglied des Kreisverbandes Weiden von BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Die Europäische Volkspartei inszeniert sich gern als letzte verlässliche Bastion der demokratischen Mitte. Doch ihr Abstimmungsverhalten zeigt ein anderes Bild: Die Brandmauer, von der Manfred Weber (CSU) so oft spricht, besteht zunehmend nur noch aus Bühnenholz. Dahinter arbeitet die EVP längst mit jenen Kräften zusammen, vor denen sie öffentlich warnt.
Ein Bekenntnis, das schon bei seiner Formulierung erodierte
„Mit rechtsextremen Kräften werden wir nicht zusammenarbeiten – das ist glasklar.“ – „Pro Europa, pro Rechtsstaat, pro Ukraine das sind die Grundpfeiler, auf denen diese Brandmauer steht“ sind Sätze des Partei- und Fraktionsvorsitzenden der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber (CSU). Weber formulierte mit diesen Sätzen im Vorfeld der Europawahl 2024 eine klare Haltung zu Rechtsextremen und Europafeinden. Ein Blick in die Liste der neu formierten Fraktionen, wie die der „Europa der Souveränen Nationen“ (AfD), die „Europäischen Konservativen und Reformer“ (ECR, dominiert von der polnischen PiS) sowie das Lager der „Patrioten für Europa“ um das französische, rechtsradikale „Rassemblement National“, sollte der CSU und CDU bei Fragen um strategische Absprachen eigentlich keinen Interpretationsspielraum bei der Einhaltung der drei Pro’s aufkommen lassen.
Doch wer die Sitzungswochen der neuen Legislatur aufmerksam verfolgt, erkennt schnell: Diese Grenze gilt nur im Interview, nicht im Plenarsaal. Die EVP hat ihre Mehrheit für das Omnibus-I-Paket mithilfe rechter und rechtsextremer Fraktionen organisiert und damit genau die Allianz geschmiedet, die sie monatelang als politisches Tabu behandelte.
Das erste konservativ-rechte Legislativprojekt der neuen Ära
Die europäischen Lieferkettengesetze sollen sicherstellen, dass Unternehmen entlang ihrer gesamten Wertschöpfungskette Verantwortung für Umwelt- und Menschenrechtsstandards übernehmen. Konkret verpflichten sie Unternehmen, Risikoprüfungen durchzuführen, um potenzielle Verstöße gegen Umwelt- oder Sozialstandards frühzeitig zu erkennen, zu verhindern oder zu mindern.
Das Omnibus-I-Paket sollte bestehende Rechtsakte zu Nachhaltigkeit, Finanzen und Unternehmenspflichten harmonisieren und entschlacken. Doch die Version, die nun durchs Parlament ging, verwässert zentrale Bestandteile der Sorgfaltspflichtenrichtlinie und der Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD)und verschiebt normative Leitplanken, die die EU sich über Jahre mühsam erarbeitet hatte.
Mit dem Votum wurde Transparenz über Klima- und Nachhaltigkeitsrisiken abgeschwächt, europäische Unternehmen von Teilen ihrer Berichtspflichten entlastet und jener Kurs bedient, den Donald Trump seit Monaten zur europäischen Wirtschaftspolitik einfordert: weniger Regulierung, weniger Offenlegung, weniger Ambition. Gerade deshalb sollen die Gesetze zur Nachhaltigkeit die gesamte Wertschöpfungskette eines Unternehmens unter die Lupe nehmen.
Strauß-Demokraten: Wenn’s schwierig wird: Kopf in den Sand
Die Antwort der AfD lässt nicht auf sich warten. Während die AfD-Abgeordnete Mary Khan-Hohloch die Entscheidung als „historischen Tag für deutsche und europäische Unternehmen und für die Demokratie“ feierte, zog der Verhandlungsführer der sozialdemokratischen S&D Fraktion eine historische Linie zurück in die 1930er Jahre: „Das führte zum Aufstieg Adolf Hitlers. (…) Also bitte: Raufen wir uns zusammen und wiederholen wir nicht erneut die Fehler der Vergangenheit.“ Diese Zuspitzung mag drastisch sein, doch sie verweist auf den Kern: Eine konservative Fraktion, die Mehrheiten mit Rechtsaußen sucht, verschiebt das europäische Machtgefüge. Gerade diese Form des Wegduckens ist symptomatisch für die EVP: Nach außen gibt sie sich kämpferisch gegenüber dem Erstarken der AfD, doch im Parlament steckt sie längst den Kopf in den Sand. Genau durch diese Widersprüchlichkeit muss öffentlich angesprochen werden.
Webers Abwehrreflex: Die Brandmauer als Selbstsuggestion
Manfred Weber reagierte auf Kritik mit der Bemerkung, die EVP benötige „keine Nachhilfe“ in Fragen der Brandmauer. Es handle sich um eine „Sachentscheidung (…) und keine strategische Entscheidung“. Doch genau diese Formulierung offenbart das Dilemma:
Wer seine strategische Linie nur noch als Sachzwang beschreibt, hat die strategische Linie längst aufgegeben.
Weber tut so, als sei die konservativ-rechte Mehrheit alternativlos gewesen. Dabei zeigt der Blick auf die Gesprächskanäle des Parlaments das Gegenteil: Die S&D bot Gespräche an. Die Liberalen signalisierten Kompromissbereitschaft. Die Grünen standen für sektorale Anpassungen offen. Mit anderen Worten: Die Türen für eine demokratische Mehrheit standen sperrangelweit offen. Die EVP entschied sich trotzdem anders.
Nicht, weil sie musste.
Sondern weil sie wollte.
Die bewusst gewählte Allianz – und ihr strategischer Preis
Der Schulterschluss mit der äußeren Rechten war keine parlamentarische Panne, sondern ein kalkulierter machtpolitischer Schritt. Die EVP wollte demonstrieren, dass sie auch ohne die klassischen Mitte-Links-Bündnisse Mehrheiten bilden kann. Es ist ein Signal an ihre Wählerschaft, an ihre Parteifamilien und an jene Mitgliedsparteien, die längst nach rechts abgedriftet sind.
Doch der Preis ist hoch:
- Die Normalisierung rechter Rhetorik schreitet voran.
Jede gemeinsame Abstimmung verschiebt die Koordinaten dessen, was als legitime Zusammenarbeit gilt. - Die Institutionenlogik des Parlaments erodiert.
Ausschüsse und Berichterstattungen geraten unter Druck, wenn rechte Fraktionen als Mehrheitsbeschaffer etabliert werden. - Die Brandmauer wird zur Kulisse.
Öffentlich aufrechterhalten – parlamentarisch längst eingerissen. - Der Parlamentspräsidentin und den demokratischen Fraktionen wird das Regieren schwerer gemacht, wenn die größte Fraktion mit jenen kooperiert, die europäische Integration fundamental ablehnen.
Ob Friedrich Merz diese Entwicklung bewusst in Kauf nahm oder unterschätzte, ist unklar. Seine Einlassungen vor drei Wochen im Europäischen Rat, das Europäische Parlament solle seine „Fehler” in Bezug auf die erste Omnibus-Abstimmung korrigieren, rütteln nicht nur an der institutionellen Souveränität der 720 Abgeordneten des Europäischen Parlaments, sondern erhöhen den Druck innerhalb der EVP Fraktion, insbesondere der deutschen EVP-Abgeordneten. Da wirkt die gestrig erteilte Rüge des Bundeskanzlers an seine Parteikollegen fast schon wie der Appell eines Feuerwehrhauptmanns, der lautstark zum Löschen mahnt – während er selbst zuvor jene Einsatzbefehle erteilt hat, die seine Truppe überhaupt erst dazu veranlassten, den Schlauch beiseitezulegen und sich ausgerechnet mit den Brandstiftern zu verbünden.“
Ein konservativer Machtanspruch ohne Bindekräfte
Die gestrige Abstimmung markiert insofern nicht weniger als den vorläufigen Höhepunkt eines Trends:
Die EVP organisiert ihre Macht zunehmend mit Unterstützung der Rechten.
Was früher Ausnahme war, droht zur Regel zu werden.
Was früher als Dammbruch galt, wird als „Sachentscheidung“ bagatellisiert.
Was früher die demokratische Mitte definierte, wird heute zur Verfügungsmasse konservativer Mehrheitsarithmetik. Damit verändert sich das Parlament strukturell. Die politische Mitte verliert ihre kohäsive Kraft. Rechte und rechtsradikale Gruppen rücken in Ausschüssen und Trilogen näher an den legislativen Hebel. Die dynamische Achse des Parlaments verschiebt sich. Weg von pro-europäischer Integration, hin zu Renationalisierung und Deregulierung.
Ausblick: Die Frage, die bleibt
Die EVP gibt sich gern als stabilisierendes Zentrum. Doch ihre jüngsten Entscheidungen zeigen: Sie ist längst zum Kipp-Punkt geworden. Nicht, weil sie selbst radikalisiert wäre – sondern weil sie bereit ist, die Türen zu jenen zu öffnen, die es sind.
Der europäische Mainstream sollte sich keiner Illusion hingeben:
Die Normalisierung rechter Mehrheiten beginnt nicht mit einem großen Knall.
Sie beginnt mit einem einzigen, bequem erscheinenden Abstimmungstag.
Omnibus I war dieser Tag.
Und er wird nicht der letzte gewesen sein.
Quellen:
We won’t work with far-right ‚extremists‘, EPP chief Manfred Weber says – Talking Europe
„Pro Europa, pro Rechtsstaat, pro Ukraine“: Europäische Volkspartei verspricht „Brandmauer“ gegen rechtsaußen
Pressestatement: Kanzler vor dem Europäischen Rat | Bundesregierung
https://en.frankbold.org/news/epp-sides-with-the-far-right-to-gut-the-eus-sustainability-framework-in-the-omnibus-i-vote
EU-Parlament: Streit um Lieferketten und Klima zerreißt Europas Demokraten – Politik – SZ.de
Far right and centre right unite in EU parliament to undermine green rules
EU conservatives vote with far right to approve cuts to green rules – POLITICO
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